Einer der größten US-Justizskandale begann mit einem grausamen Verbrechen: Am 19. April 1989 bricht die damals 28-jährige New Yorker Investment-Bankerin Trisha Meili gegen 21 Uhr zum Jogging in den Central Park auf. An einer einsamen Stelle wird sie von hinten mit einem Ast niedergeschlagen, ihr lebloser Körper ins Gebüsch gezerrt.
Das Opfer wird vergewaltigt, fast totgeprügelt und erst Stunden später gefunden. Wie „gefoltert“ hätte Meili ausgesehen, so Polizisten. Sie verliert 80 Prozent ihres Bluts, hat 21 Knochenbrüche. Die Schädeldecke ist zertrümmert. Ärzte geben der Frau kaum Überlebenschancen. Doch nach 12 Tagen im Koma wacht sie auf.
Jahrelang unschuldig im Knast
New York, ja die Welt, war von diesem Verbrechen geschockt: Doch statt die Wahrheit zu suchen, schien latenter Rassismus die Ermittler anzutreiben. Denn alle fünf verurteilten Teenager, vier Schwarze und ein Latino, rasch bekannt als „Central Park 5“, stellten sich letztendlich als unschuldig heraus!
▶︎ Nachdem sie zum Teil bis zu mehr als 13 Jahre im Knast geschmort und ihre Jugend verloren hatten. Diesen Dezember jährt sich zum zwanzigsten Mal der Tag, als Staatsanwalt Robert Morgenthau († 99) die fünf offiziell als „entlastet“ bestätigte.
Der damals wegen anderer Verbrechen inhaftierte Serientäter Matias Reyes (51) hatte die Tat gestanden, DNA-Beweise bestätigten, dass er es war, der Meili überfallen hatte. Insgesamt 41 Millionen Dollar zahlte die Stadt New York schließlich an die fünf Justizopfer.
„Bringt mir Geständnisse!“
Zurück zur Horrornacht: Gesucht wurden damals Schuldige. Um jeden Preis! In der Netflix-Serie „When They See Us“ (2019) wird der Druck verdeutlicht, als Anklägerin Linda Fairstein (75) ermittelnde Kripo-Beamte des NYPD anherrscht: „Bringt mir Geständnisse!“
Fast zeitgleich mit dem brutalen Verbrechen kommt es zu einer Serie anderer Straftaten, als eine Horde von mehr als 30 Jugendlichen durch den Central Park zieht. Ein Lehrer wird ausgeraubt, ein Jogger mit einer Eisenstange niedergeschlagen.
► Es gibt fünf weitere Opfer. 20 Verdächtige werden festgenommen, darunter die späteren „Central Park 5“ Raymond Santana (damals 14), Kevin Richardson (14), Antron McCray (15), Yusef Salaam (15) und Korey Wise (16).
Beamte verhören die Minderjährigen – stundenlang, ohne Nahrung, ohne Anwalt, ohne Eltern. Die Detectives drohen, lügen, manipulieren. Es gibt Schläge ins Gesicht, Schreie. Psychoterror. Bei McCray wird sogar der eigene Vater eingespannt, man hatte ihm gedroht, seinem Arbeitgeber über Vorstrafen zu berichten.
„Dad, ich habe doch nichts getan …“
„Mein Vater redete mit den Polizisten“, sagte das Justizopfer später. „Als er zurückkam, brüllte er mich an, ich sollte sagen, was die Leute hören wollten, dann könnte ich nach Hause.“ Er bäumt sich noch vergeblich auf: „Dad, ich habe doch nichts getan …“
Am Ende gibt es keine Beweise, nur die erzwungenen Geständnisse von allen. Dass die völlig widersprüchlich ausfallen, wird ignoriert. Den Ermittlern ist zwar klar, dass die Vergewaltigung an einer anderen Stelle im Park passierte als die Teenager-Randale. Auch die Zeitlinie passt überhaupt nicht zusammen. Doch die Stadt ist gierig nach Verurteilungen.
Öl ins Feuer gießt der damalige Immobilienmogul Donald Trump (76). In einseitigen Annoncen in den vier führenden Zeitungen der Stadt verlangt er die Wiedereinführung der Todesstrafe. „Ich hasse diese Straßenräuber und Mörder. Sie sollten leiden …“, heißt es wörtlich.
In der auch von der Sensationsberichterstattung aufgeheizten Stimmung reichen den Geschworenen dann die „Geständnisse“. Bei allen fünf heißt es: „Guilty“ (schuldig). Dass die am Tatort festgestellten Samenspuren von einem „unbekannten Mann“ stammen, ist für die Jury nicht ausschlaggebend.
Santana, Richardson, McCray und Salaam sitzen in Jugendgefängnissen sechs bis sieben Jahre hinter Gittern. Der älteste, Korey Wise, wird in den Erwachsenenknast geworfen. Er erlebt 13 Jahre höllischer Torturen (Isolationshaft, Attacken durch Mithäftlinge). Dann aber trifft er 2001 in der Haftanstalt „Auburn Correctional Facility“ einen Mithäftling.
Geständnis leitet Untersuchung ein
Sein Name: Matias Reyes. Der hatte zwei Tage vor der Attacke auf die Joggerin eine andere Frau im Central Park sexuell attackiert. Im folgenden Sommer vergewaltigte er vier weitere Opfer, tötete eine Frau. Er erhielt „lebenslang“.
Nach dem Treffen mit Wise gesteht Reyes den Angriff auf die Joggerin. Prompt stimmt die DNA überein. Und er bestätigt auch: „Ich habe es allein getan!“ Staatsanwalt Morgenthau leitet eine Untersuchung ein, die zur Rehabilitierung der „Central Park 5“ führt.
So erhalten sie eine zweite Chance auf ein erfülltes Leben: McCray lebt heute mit sechs Kindern im US-Bundesstaat Georgia, Richardson ist verheiratet in New Jersey. Salaam (zehn Kinder) kämpft als Rechtsanwalt für Justizreformen, er will im nächsten Jahr für einen Sitz im New Yorker Stadtrat kandidieren.
Santana ist heute als Aushängeschild für die Organisation Innocence Project tätig: „Anderen helfen zu können, hat mir beim Heilungsprozess geholfen“, sagte er jüngst zu NBC. Wise, der in der Haft am meisten durchmachte, ist heute ebenfalls ein Aktivist für Reformen im Strafvollzug.
Trump nannte Vergleich „Schande“
Und die „Vorverurteiler“ von damals? Trump nannte den Millionenvergleich mit den Entlasteten eine „Schande“.
Für ihn seien die fünf einfach weiterhin „schuldig“. Auch für Anklägerin Fairstein, die sich später einen Namen als Krimiautorin machte, blieben die fünf weiterhin schuldig. Dann eben wegen anderer Straftaten. Auf eine Entschuldigung warten die fünf vergeblich …
Dieser Artikel stammt aus BILD am SONNTAG. Das ePaper der gesamten Ausgabe gibt es hier.